Gemeinwesenamt
Hinterm Horizont - Gemeinwesenamt
Schaffen Sie es mit Ihrem Rollstuhl hier nach hinten, hinter diesen Schreibtisch zu fahren und sich neben Ihre Frau zu platzieren?“, organisiert der Obergemeinwesenamtmann.
„Dann hätte jeder seinen richtigen Platz“, ergänzt er. Klärus bewältigt diese technische Herausforderung im Rollstuhl mit Bravour und da alles im Universum seine Ordnung hat, ist diese hier somit auch hergestellt, denn alle befinden sich hier mitten im Universum. Clearasil und die vier Neugeister haben sich flugs zusätzlich in dieses Zimmer gedacht, auch ohne dass für sie ein Ordnungsplatz reserviert ist. Den Grobstofflichen fällt nicht auf, dass sich in ihrer Begleitung die zerzauste, flatterige Wesenheit der kompetenten Sachbearbeiterin befindet. Der zerknitterte, gestresste Schutzgeist des Obergemeinwesenamtmannes hängt derweilen "in den Seilen" im Eck des Zimmers ebenso schräg links hinter dem Obergemeinwesenamtmann. Allerdings lugt er mit müden Glubschaugen zum massiven Geistwesenaufgebot im Raum.
„Sie sind mit unserem Bescheid nicht einverstanden und haben Einspruch eingelegt“, beginnt dominant der Obergemeinwesenamtmann den Reigen, was für alle Beteiligten wahrlich nichts Neues ist. Einleitungen sind halt so.„Wenn jemand einen Einspruch einlegt, müssen wir natürlich die Aktenlage genauestens prüfen.“ Da hat natürlich jeder Verständnis. Klärus fällt auf, während er Abwechslung zu dieser interessanten Einleitung sucht, dass der Obergemeinwesenamtmann hinter einer Mauer von Akten und Gesetzbüchern viel, viel Papier residiert und während der Obergemeinwesenamtmann weiter aufklärt, muss Klärus unweigerlich an Urwald denken, jawohl Urwald, Dschungel. Dieser Erdenbürger lebt hier inmitten des Dschungels, des Akten- und Papierdschungels. Er sitzt hier in einer Festung zur Verteidigung des Staates gegen die Angriffe des zahlungsunwilligen, verärgerten Bürgers. Verteidiger des letzten Bollwerks. Er ist Tarzan im Gemeinwesenverwaltungsdschungel. Die vier Neugeister rütteln kompetent Klärus’ Gedanken zurecht. „Richte nicht, auf dass du nicht gerichtet wirst!“ Die Gedanken der vier Neugeister kommen bei Klärus als „Was du als Gedanken losschickst, das kommt als Gleiches zu dir zurück“ ins Bewusstsein. “Und somit müssen wir Ihre Akte völlig neu überprüfen, Ihren gesamten Fall neu aufrollen, um eventuell auch Früheres zu korrigieren!“, fährt Tarzan fort. Er ist gerade damit beschäftigt, die Einspruch erhebenden Eindringlinge in seinem Dschungelparadies an Lianen hängend zu umkreisen. Die Machtfrage in diesem Raum wird somit geklärt. Klärus kennt das. Es ist so eine Sache mit der Macht hier auf Erden. Wenn jemand Macht benötigt, um sich gut zu fühlen, dann benötigt dieser Jemand auch jemanden, auf den er Macht ausüben kann, um sich gut zu fühlen. Der andere Jemand ist dann Opfer, wenn er das Spiel mitmacht und dem Opfer geht es dann weniger gut, weil der Machthungrige die Kraft des Opfers übernommen hat. Das wissen die wenigsten Menschen, aber sie tun es. Klärus weiß das, aber er fällt immer wieder herein in dieses Spiel des Verletztwerdens und des Verletztseins. Und so beginnt, dem üblichen Ritual auf Erden folgend, der Obergemeinwesenamtmann, sich mit der Kraft von Klara und Klärus aufzuladen, nachdem er sich bis zu diesem Moment seiner Kraft durch Klara und Klärus beraubt sah. Kraft seines Amtes. Das weiß er zwar nicht, aber das ist so das übliche Geben und Nehmen. Die zerknitterte Wesenheit des Obergemeinwesenamtmannes befindet sich in einem Zustand der Aufmerksamkeit. Einer der vier Neugeister, ein weiblicher Neugeist, schenkt der zerknitterten Wesenheit ebenfalls seine Aufmerksamkeit. „Es könnte ja auch sein, dass dieses Amt hier in der Vergangenheit Fehler begangen hat, welche korrigiert werden müssten“, kommt der Obergemeinwesenamtmann auf den Punkt und lässt Klara und Klärus spüren, dass er bereits gesucht und zufrieden gefunden haben muss. Klara und Klärus halten sich noch wacker ruhig. Auch die Sachbearbeiterin sitzt nur als schmückende Beilage dabei. Sie sitzt ungern dabei, denn sie hat schon lange Feierabend und nach einem langen Tag auch kaum noch Kraft,welche sie dem Obergemeinwesenamtmann spenden könnte. Der fährt weiter fort zu zapfen.„Sie haben nach Aktenlage“, er blättert in der Aktenlage, „einen Zuschuss für ein Gebäude erhalten und erhalten diesen immer noch. Ich sehe hier im Plan, dass da etwas nicht stimmt.“ „Aha“, denkt Klärus und „oh jeh“, Klara. „Der Zuschuss kann gewährt werden, wenn das Gebäude privat genutzt wird und separat ist. Dieses Gebäude kann nicht privat genutzt werden, weil es nicht erreicht werden kann.“ Dem kann Klärus nicht folgen, denn seit Jahr und Tag wird das Gebäude ständig erreicht. „Und warum kann das Gebäude nicht erreicht werden?“, fragt Klärus naiv zurück. „Ich sehe auf dem Plan, dass dieses Gebäude nicht privat genutzt werden kann, weil da ja keine Tür vom bisherigen Gebäude in das neue Gebäude eingebaut ist und dann kann man da ja gar nicht vom privaten bisherigen Gebäude in das private neue Gebäude gelangen, denn man muss ganz außen rum in eine separate Außentür, um in das neue Gebäude zu gelangen“, entlarvt zeigefingerhochwedelnd, siegesgewiss der Obergemeinwesenamtmann. Klara und Klärus verstehen die Welt nicht mehr, können dem nicht folgen, denn seit Jahr und Tag wird dieses neue Gebäude ständig erreicht und zwar flott durch eine Tür vom Hauptgebäude raus in den Garten, drei Schritte, dann zur Glasgartentür des neuen Gebäudes rein. Ruck Zuck. „Moooment“, mischt sich jetzt Klärus sichtlich erregt in das Verkündete ein. „Als der Bau geplant wurde hieß es, das Gebäude muss separat sein, ein völlig eigenständiges Gebäude, muss privat genutzt werden, darf aber keine Tür zum Haupthaus haben, denn dann ist es kein völlig separates Gebäude mehr, das privat genutzt wird, sondern schließt sich an das Haupthaus an, weil es zu demselben eine Tür hat und dann zu dem gehört und das stand in Ihrer Hochglanzbroschüre schwarz auf weiß! “Klärus wird laut, Klara sitzt mit weit aufgerissenen Augen da und versucht zu kapieren, was da geschieht. Die zerknitterte Wesenheit liegt derweilen schluchzend in den feinstofflichen Armen der auf sie aufmerksam gewordenen Schutzgeistin. Sie hat selbstherrlich das Lager gewechselt und kümmert sich fürsorglich um dieses arme, von der Bürde des Alltags zermürbte Wesen. Jemand muss das schließlich tun. „Ihre Frau dürfte zum Beispiel da drin nicht wohnen, wenn da keine Tür ist, weil sie nämlich dann von Ihnen getrennt leben würde und das darf sie nicht, denn Sie sind verheiratet und somit nicht getrennt und weil da keine Verbindungstür drin ist, geht das nicht, weil Sie dann nämlich getrennt wären und das geht nicht“, kontert auftrumpfend der Obergemeinwesenamtmann, denn er ist voll in Form. Klärus denkt: „Eigentlich hat er recht, denn schon damals hab ich gedacht: ‚So ein Blödsinn, keine Tür darf man da rein machen, damit es ein getrenntes Anwesen geben kann, welches dann aber privat genutzt werden muss. Wenn privat, dann sollte man doch den Luxus haben, bei Regen zum Beispiel nicht nass zu werden und bei Schnee sich nicht das Bein zu brechen. Aber wenn die meinen, dann werden wir halt ganz privat nass und brechen unter Umständen unser Gebein, nur um bezuschusst zu werden.’“ Da der Obergemeinwesenamtmann jetzt aber so schön in Fahrt ist, setzt er noch eins drauf. ...