Amtmannszeit

Augenblicke im Leben eines Menschen - Amtmannszeit

Mit siebzehn Jahren darf Klärus wegen seines Handicaps die ersehnte Fahrschule machen. Da beginnt ein völlig neues Leben für ihn. Das ist Freiheit pur. Und es ist der Beginn von regelmäßigen Fahrten in die nähere und weitere Umgebung. Dass sich bei solch einer Fahrt das vollbesetzte Auto eines Schulkameraden um einen Baum wickelte, sei hier nebenbei erwähnt. Die Insassen kamen weitgehend mit dem Schrecken davon. Dies ist auch die Zeit, in der die Schule abgeschlossen und der Beruf gewählt wird. Für Klärus gibt es keinen Zweifel, er muss ein Büromensch werden. Das hat ihm der Vater beigebracht. Da kann er sitzen, und später hat er eine gute Pension, mit der er weiterhin versorgt ist. Klärus beginnt die Laufbahn eines Amtmannes. Er erlebt Jahre mit den Menschen, über welche sein Vater zeitlebens schimpfte und immer noch schimpft, den Amtmännern.

Amtmänner klingt wie ein kriegerisches Volk und hat vielleicht auch was mit so einer Spezis zu tun. Vor ein paar hundert Jahren war ein Amtmann ein Bediensteter der höher gestellten Menschen, die auf Grund von Geburt, Besitz oder Leistung den weniger begüterten Menschen übergeordnet waren und deswegen Macht ausüben konnten. Die hatten deswegen besondere Lebensformen. Sie waren schlichtweg besser gestellt. In China war Klärus in einem früheren Leben so ein begüterter Mensch gewesen, und für ihn arbeiteten damals auch Amtmänner. Li Mai, seine Schutzgeistin, die er seit dieser Zeit kennt, war bestimmt eine Amtmännin von ihm. Amtmänner gibt es also auch heute noch, und so sollte, gemäß dem Wunsche des Vaters von Klärus, dieser ein Amtmann werden, denn zu den besonderen Lebensformen des Amtmannes gehört, dass er, wenn er mal alt werden sollte, eine finanziell gesicherte Versorgung hat. Warum sein Vater immer über diese Amtmänner schimpft, kann Klärus nie so richtig verstehen. So verbringt Klärus nun seine Zeit in Ausbildung zu so einem Un-Menschen. Das Amt, in dem Klärus zum Amtmann aus-gebildet werden soll, nennt man ein Landratsamt. Er durchläuft alle Abteilungen und studiert dabei mehr das Seelenleben dieser Menschen, welche er immer auch mit den vorurteilenden Augen seines Vaters sieht. Er sitzt am Seitenschreibtischchen in einer Amtsstube dieses Landratsamtes und lernt, wie es in einer Versicherungsabteilung ist. Am Hauptschreibtisch in dieser Amtsstube sitzt ein ausgebildeter Amtmann, der dem Klärus Amtmännisches beibringen soll. Klärus kommt am Morgen in aller Pünktlichkeit. Pünktlichkeit gehört zur Ausbildung. Der Amtmann ist schon das erste Mal auf dem Klo. Dieser Versicherungsamtmann ist der absolute Antimensch. Klärus beschäftigt sich zu dieser Zeit schon mit der Studentenbewegung. Studenten studieren selbständig ein höheres Ausbildungsfach, und da sie selbständig studieren, sind die oft aufmüpfig und wollen einiges anders haben, als es bisher war und so rebellieren sie jetzt gegen den Muff von tausend Jahren unter den Talaren. Das ist seine Gedanken- und Gefühlswelt. Auch er möchte verändern. Die Studenten rebellieren in dieser Zeit gegen die oft althergebrachte Grundeinstellung der talartragenden Lehrer der Studenten. Der Talar ist ein besonderes Kleidungsstück dieses Berufsstandes, der den Menschen Angst einflößen soll. Unter den Talaren - Muff von tausend Jahren. Die Talare werden daher auf Druck der Studierenden abgeschafft. Das ist der Mief der Bürgerlichkeit, des Establishments, die Intoleranz gegenüber allem Anderssein. Establishment ist ein viel benutztes Schlagwort für die herrschenden Kräfte, deren Tun auf Festigung ihrer Macht und Unterdrückung der nicht bessergestellten Menschen ausgerichtet ist. Das nennt man auch Klassenkampf. Diesen Muff spürt Klärus in diesem Amtsraum, und der Amtmann verkörpert für Klärus diese Talarträger. Sein Schreibtisch ist - außer den akkurat nebeneinander liegenden Schreib- und Verwaltungsutensilien - leer. Klärus öffnet sein Bürgerliches Gesetzbuch, um es zu studieren. Sein Blick ist stur in dieses Gesetzeswerk gerichtet, aber seine Aufmerksamkeit sucht jeden Tag nach Ereignissen in diesem Büroraum, die eventuell einen Unterhaltungswert haben könnten. Er beobachtet, wie der Amtmann mit seinem Handtuch vom Klo kommt und es ordentlich an einen Haken hängt. Um neun Uhr kommt die Tagespost, so viel, dass der Amtmann diese mit aller Eifrigkeit in einer halben Stunde erledigt hat. Dann beginnt das unterhaltsame Tagesprogramm. Klärus stiert studierend ins Bürgerliche Gesetzbuch und kämpft tapfer gegen den Schlaf an. Der Amtmann schnappt sich alle halbe Stunde sein Handtuch, um es mit aufs Klo zu nehmen. In dieser Zeit hat Klärus den Kopf frei zum Klassenkampf. Dann kommt auch schon der Amtmann mit seinem Handtuch wieder und hängt es an den Nagel. Mit was er dann den Tag herumkriegt, das findet Klärus nie so richtig heraus. Für Klärus gibt es auch Abwechslungen. Es sind dies das Neunuhrvesper und das Mittagessen in der Kantine, in der alle Talarträger zusammenkommen. Dann kommt ein langer Nachmittag, der mit Cola holen abgerundet wird. Auch einzelne Besuche anderer Abteilungen lockern auf. ..... Fortsetzung im Buch